Auch weil wir Strafe ablehnen: Hinsetzen? Jetzt erst recht!
Protest-Performance in Solidarität mit der "Letzten Generation" in Stralsund
Heute, am 28. November 2023, wurde ab 9 Uhr am Amtsgericht Stralsund der erste "Klima-Kleber-Prozess" in der Region verhandelt. Vorwürfe waren "Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, "Nötigung" und "Gefährliche Körperverletzung". Dabei saßen aber nicht die Klima-Aktivist_innen auf der Anklagebank. Den Auftakt machte ein LKW-Fahrer, der erst ohne Vorwarnung auf die Demonstrant_innen einschlug und dann mit seinem 12-Tonnen-Laster in die Sitzblockade hineinfuhr und dabei einen Aktivisten mitschleifte und fast überfuhr. [1]
Wir waren als Aktivist_innen der lokalen Klima-Bewegung auch vor Ort, um unseren Unmut gegen dieses Verfahren zum Ausdruck zu bringen. Dieses Verfahren gehört eingestellt!
(Es gab heute dazu schon eine Verurteilung. Diese ist aber noch nicht rechtskräftig.)
Zwei Sachen dürften dabei überraschen:
- Wir finden den Straf-Prozess gegen diesen LKW-Fahrer nicht zielführend.
- Wir finden auch die Strafverfolgung gegen die Personen, die bei der Blockade auf der Straße saßen, unnötig. Und wiederholten diese Blockade nochmal.
Kriminelle Vereinigung?
Letzten Donnerstag hat das Landgericht München die "Letzte Generation" in einer "Vorab-Entscheidung" [2] als "kriminelle Vereinigung" verurteilt.
Es ist ein weiterer Versuch seitens der staatlichen Behörden, die Klima-Bewegung zu spalten und zu diskreditieren. Mögen mitunter die Mittel und Forderungen von der "Letzten Generation" auch aus den Reihen der Klima-Bewegung Kritik erfahren, sollte jetzt unsere Solidarität im Vordergrund stehen. Lasst uns zusammenstehen gegen die Repressionen!
Oft trifft es nur wenige, aber gemeint sind wir alle!
Straßenblockaden sind von der Versammlungsfreiheit gedeckt
Wir wollen unsere Kritik am übertriebenen Verfolgungseifer der Strafverfolgungsbehörden auch in unserer Region sichtbar machen.
Mit einer Aktion am heutigen Dienstag, dem 28. November 2023, in Stralsund. Wir haben das gemacht, was die "Letzte Generation" im Juli 2023 schon einmal in Stralsund machte: eine Straßen-Protest-Performance. Am selben Ort. Heute parallel zum Strafprozess im Amtsgericht.
Sitzblockaden sind seit Jahrzehnten Bestandteil von Demos und demokratischer Ausdruck der Mitbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder die Legitimität dieser Teilhabe am öffentlichen Diskurs betont und sie unter den Schutz des Versammlungsrechts gefasst.
Mit der angekündigten Aktion wurde gezeigt: Das, was die "Letzte Generation" veranstaltet, ist nicht kriminell, sondern vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt. So wird deutlich, wie abstrus die Vorwürfe in den Ermittlungsakten sind.
Warum die "Nachstellung" der Aktion?
Sollte die Staatsanwaltschaft nun auch daran festhalten, die Aktivist_innen von der "Letzten Generation" in Stralsund anzuklagen, wird es für sie schwerer, vor Gericht die Vorwürfe aufrecht zu erhalten, wenn vergleichbare Aktionen angemeldet stattgefunden haben. Mit etwas Glück kann die Aktion also dazu beitragen, dass die Strafverfahren ins Leere laufen.
Bei anderen Aktionen war diese Strategie bereits mehrfach erfolgreich, zum Beispiel "Tribsees".
Aktivist_innen fordern Wiedergutmachung statt Strafe
Doch nun nochmal zur Anklagebank, wo sich der LKW-Fahrer befand.
Was viele vielleicht überraschend finden: Als Klima-Aktivist_innen, die sich für globale Gerechtigkeit einsetzen, wollen wir, dass das Verfahren gegen den Täter eingestellt wird.
Wir glauben nicht daran, dass das Amtsgericht für einen ehrlichen Nachteilsausgleich sorgen kann oder eine (Geld-)Strafe zu der Klärung des Konflikts, der sich im Juli in Knieper-West zugetragen hat, beiträgt.
Selbst wenn die im Raum stehende Geldstrafe rechtskräftig werden sollte, wird dies nicht entscheidend dafür sein, dass der Fahrer sich die Gefährlichkeit seiner Handlung eingesteht. Eine Geldstrafe ist auch keine Garantie dafür, dass so ein Kontrollverlust in Zukunft weniger wahrscheinlich wird.
Wir setzen uns viel mehr dafür ein, dass hier eine außergerichtliche Wiedergutmachung favorisiert wird. Zum Beispiel über einen Täter-Opfer-Ausgleich, oder über ein Anti-Agressions-Training.
Seit längeren werden auch unabhängig von staatlichen Kontroll- und Repressions-Systemen Formen der "Transformativen Gerechtigkeit" ausprobiert. Dies sollte auch hier zur Anwendung kommen. Wir brauchen sowohl individuelle als auch kollektive Aushandlungs-Prozesse, stehen wir doch vor gesellschaftlichen Krisen, unter anderem einer ökologischen und einer sozialen, die sich mitunter auch gegenseitig bedingen. Eine gegenseitige Konkurrenz unter Mitwirkung der Strafjustiz führt eher zu einer weiteren Eskalation als zu einem sozialen Frieden. Was helfen würde: zwischenmenschliche Verständigung. Die wird vor dem Gericht an sich nicht möglich sein. (Alleine schon deshalb, weil die Opfer der Gewalt gar nicht an der Verhandlung beteiligt wurden.)
Quellen:
[2] https://www.zeit.de/news/2023-11/23/gericht-erklaert-razzia-bei-letzter-generation-fuer-rechtmaessig
Das ist jetzt noch keine rechtskräftige "Einstufung"/Verurteilung als "Kriminelle Vereinigung". Das Landgericht bestätigte aber einen Anfangsverdacht und ermöglichte damit weitreichende Ermittlungsbefugnisse der Polizei, zum Beispiel Hausdurchsuchungen und Kommunikations-Überwachung.